Wie ausgerechnet ich, die normalerweise mit Punkrock nichts am Hut hat, zu diesem Review gekommen bin, habe ich ja schon in unserer News zum Song Wenn es Nacht wird geschrieben. Das war die zweite Single, die White Sparrows vorab veröffentlicht hatten. Und nachdem auch dem Titeltrack Zwischen Liebe, Hass & Suff ein Video spendiert wurde, erscheint am 25.11. das komplette Album. Es ist nach der EP Helden uns’rer Zeit aus 2012 und den Alben Sound der Generationen aus 2015 sowie Kein Applaus aus 2019 das dritte Full-Length-Alben der Südhessen und wird über SBÄM Records veröffentlicht. Die im Jahr 2010 gegründete Band zeigt in den 15 Songs, die das Album auf eine Spielzeit von ungefähr 50 Minuten bringen, nicht nur politisch eine klare Kante, sondern kann auch ganz alltägliche Geschichten wunderbar erzählen und zeigt sich tatsächlich auch mal sehr verletzlich.
Los geht’s aber mit dem Führerblues, der musikalisch eher aufs Oktoberfest als auf ein Punkrock-Album passen würde. Andererseits passt es musikalisch genau zu dem Statement, dass die White Sparrows mit diesem Song abgeben. Ihr Frontalangriff auf die AfD und andere rechte Wirrköpfe entlockt mir ein breites Grinsen, diese Sätze sind einfach großartig! 😀 Mit Kartell der Verlierer bleiben die Jungs beim gleichen Thema, kommen musikalisch aber zu dem, was sie am besten können. Und mir liefern sie gleich einen der Gründe, warum ich ihre Songs so liebe: der großartige Gesang, mit dem alle vier aufwarten können. Habe ich so bislang noch bei keiner Punkrock-Band gehört. Auch die schönen Gitarrensoli, mit denen fast jeder Song aufwartet, sind so wunderbar melodisch, dass ich sie eher in (Classic) Rock-Songs erwarten würde. Aber sie passen musikalisch tatsächlich zu den Songs, egal ob die eher im Punkrock beheimatet sind, auch mal an Bands wie Blink182 erinnern oder im Rock’n’Roll-Gewand daherkommen. Und auch mit Ska können White Sparrows aufwarten, dafür steht Song Nummer 8 – Ich hol’ dich hier raus. Dabei sind die Genregrenzen aber definitiv nicht mit dem Lineal gezogen, und das ist die Trumpfkarte, die White Sparrows sehr elegant ausspielen.
Überraschen können mich White Sparrows dann aber tatsächlich auch, und zwar mit Song Nummer 10 – Dreck der letzten Nacht. Die Liste der Balladen, die sich in meinen Playlisten finden, ist sehr kurz, aber was die White Sparrows hier liefern, ist großartig. Im längsten Song des Albums präsentieren sie sich sehr reduziert auf Gesang und Klavier. Aber der Track kommt mit einer überragenden emotionalen Wucht daher. Die haben White Sparrows auch im Songwriting durch die langsame Steigerung perfekt umgesetzt, sodass ich danach erstmal die Stopp-Taste drücken muss, um der Ergriffenheit, die mich fest umschlungen hält, Zeit zu geben. Und auch der Titeltrack Zwischen Liebe, Hass & Suff ist eher ruhig denn punkrockig gehalten. Da sitze ich dann an der Tastatur und merke, wie ich langsam ins Schunkeln gerate. 😀 Schunkeln ist beim letzten Track definitiv nicht mehr angesagt, Treat Me Unkind ist 100% Punkrock, und hier gesellt sich Brian Pearl von der österreichischen Band Marrok noch mit ans Mikro. Der Unterschied im Gesangsstil ist mehr als deutlich hörbar, wobei Marrok, zumindest laut Wikipedia, mit Punkrock gar nichts zu tun haben, sondern eher im Alternative Metal unterwegs sind. Aber wer, wenn nicht Musiker, liebt es nicht, musikalische Grenzen zu überschreiten?
Leider gibt es außer dem Album nichts, was man sich von dem Quartett anhören kann. Allerdings kommt "Smell Your Soul" mit 13 Tracks daher, die für eine Spielzeit von knapp 50 Minuten sorgen.