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Lesedauer ca. 3 min.

Sober Truth – Laissez Faire, Lucifer! [lɛseˈfɛʀ, ˈluːsɪfə(r)!]

Künstler:

Sober Truth

Herkunft:

Siegburg, Deutschland

Bandmitglieder:

Thorsten Schramm (Gesang und Gitarre)
Aaron Vogelsberg (Gitarre und Backgroundgesang)
Jules Rockwell (Bassgitarre)
Paul Bendler (Schlagzeug)

Link:

Album:

Laissez Faire, Lucifer! [ lɛseˈfɛʀ, ˈluːsɪfə(r)!]

Genre:

Progressive Metal, Groove Metal

Erscheinungsdatum:

10.09.2021

Tracklist:

1. Début Diable
2. Distinctive
3. Dizygotic Twins
4. Imperfection
5. Entre Les Chansons I
6. DNA
7. Planted Brains
8. Rebirth
9. Hope, Enjoy & Death
10. Entre Les Chansons II
11. Limbus
12. Taste Unplugged

Eine Frage braucht man den Mitgliedern von Sober Truth nicht stellen, nämlich die, ob sie nach so vielen Shows, die sie schon gespielt haben, immer noch Lust haben, auf die Bühne zu gehen. Egal, wie viele Menschen vor der Bühne stehen, die vier spielen immer mit sehr viel Herzblut, liefern absolut energiegeladene Auftritte und stehen danach verschwitzt und ausgepowert aber sehr entspannt und freundlich mitten unter den Fans oder am Merchandisetisch. Davon durfte ich mich gerade bei ihrem letzten Auftritt anlässlich der Unforged Releaseshow überzeugen, über die wir ja berichtet haben.

Das war nicht das erste Mal, dass ich Sober Truth schon live erleben durfte, denn kennengelernt habe ich sie bereits mit ihrem Album Locust Lunatic Asylum, das im Februar 2017 veröffentlicht wurde. Das war bereits das vierte Album von Sober Truth, die in 2017 ihr zehnjähriges Bandbestehen feiern konnten. Von der 2017er Besetzung ist nur noch die Hälfte übriggeblieben, an Leadgitarre und Schlagzeug gab es zwischenzeitlich Wechsel. Die haben das Bandgefüge aber nur kurz durcheinandergebracht, und so konnten Sober Truth nach dem 2019er Album Psychosis am 10.09. ihr sechstes Album Laissez Faire, Lucifer! [ lɛseˈfɛʀ, ˈluːsɪfə(r)!] präsentieren.

Bei der Unforged Releaseshow sagte Thorsten irgendwann zwischen den Songs mal so was wie “wir spielen ja keine leichte Kost”, und dem kann ich uneingeschränkt zustimmen. Das haben sie noch nie getan, und das tun sie auch auf dem aktuellen Longplayer nicht. Die Songs unternehmen einen Streifzug durch die menschliche Psyche mit all ihren Stärken und Schwächen, Höhen und Tiefen. Und so, wie jeder Mensch unverwechselbar, eben Distinctive, ist, ist es auch der Sound von Sober Truth. Kommt dieser Track noch mit einer ordentlichen Schlagseite zum Thrash Metal daher, zeigen Sober Truth bereits hier ihre Trademarks. Das fängt beim sehr variablen Gesang von Thorsten an, der von Flüstern über normalen Gesang bis hin zu wüsten Shouts alles gnadenlos durchexerziert und dabei nach Kräften von Aaron unterstützt wird. Der schießt auch noch seine Riffs in die Menge, wie die Kamelle beim Rosenmontagszug von den Wagen fliegen – ja, die fünfte Jahreszeit geht wieder los 😀 Die coolen und sehr druckvollen Basslines von Jules und das treibende Schlagzeugspiel von Paul erhöhen die Dynamik der Songs dann noch einmal.

Bei Dizygotic Twins muss ich dann erstmal genauer hinhören… Ja, tatsächlich, es gibt zu dem im Chorus ein wenig in Richtung Neue Deutsche Härte driftenden Track deutschsprachigen Gesang. Klingt in Kombination mit diesem Rhythmus zunächst mal ungewohnt, aber hey, im NDH-Genre wird ja nicht gerade selten in Deutsch gesungen. Und weil Sober Truth es können, mischen sie im folgenden Imperfection dann gleich mal Deutsch und Englisch. Mit mächtig Groove kommt der Song daher. Französisch gibt es auf dem Album auch, wenn auch nicht gesungen, sondern “nur” in den Songtiteln der beiden Interludes. Entre Les Chansons I (also “zwischen den Liedern”) leitet über zu DNA. Und dieser Song ist tatsächlich die DNA von Sober Truth selbst. Wahnwitzige Riffs, treibender Rhythmus, vertrackte Tempowechsel; den Versuch, Sober Truth in irgendeine Genreschublade zu packen, sollte man spätestens hier aufgeben.

Planted Brains ist der längste Track des Albums, auf ungefähr siebeneinhalb Minuten kommt er. Von dem leicht doomigen Beginn mit dem schrägen Gitarrenspiel sollte man sich nicht täuschen lassen, das geht ziemlich schnell über in ein Riff, bei dem ich sofort anfange zu überlegen, von welcher Band ich so was ähnliches schon mal gehört habe. Aber nicht lange damit aufhalten und zuhören, denn hier nehmen Sober Truth vor allem mal ordentlich Tempo raus und hauen alles an Progressive Metal rein, was geht. Das ist schon ein ziemlich krasser Stilwechsel, aber selbst, wenn man denkt, Sober Truth können nicht mehr überraschen, hauen sie noch einen raus. Auch Rebirth ist da keine Ausnahme, mit leicht orientalisch anmutenden Gitarrenklängen startet der Song im Midtempo, bevor wieder mal die grobe Thrash-Kelle ausgepackt wird. Sehr geil!

Hope, Enjoy & Death wandelt wieder mit Siebenmeilenstiefeln in NDH-Gefilden, bevor das zweite Interlude Entre Les Chansons II für eine knappe Minute eher in elektronische Sphären à la Jean-Michel Jarre entschwebt. Damit ist auch tatsächlich schon der vorletzte Track an der Reihe. Limbus wird umgangssprachlich auch “Vorhölle” genannt. Wenn’s da auch so geile Gitarrenlinien und -riffs gibt, wär’s ja schon mal was. 😀 Aber passend zur Umgebung kommt auch der Song sehr düster daher. Auch nicht wirklich fröhlich ist der letzte Track Taste Unplugged. In akustisch habe ich Sober Truth noch nie gehört, und in Richtung Southern / Country Rock auch nicht. Aber die Steel Guitar hat was, und vor meinem geistigen Auge taucht sofort eine verlassene Goldgräberstadt in der weiten Prärie auf, wo der immer wehende Wind die Büsche losreißt und vor sich her treibt.


Unser Fazit

Auch die Songs von Laissez Faire, Lucifer! [ lɛseˈfɛʀ, ˈluːsɪfə(r)!], die sich im Grunde jeder Beschreibung widersetzen, sind nichts zum Nebenbei Hören. Und das haben die Fans, die ich bei der Unforged Releaseshow vor der Bühne gesehen habe, auch nicht getan. Jeder Song wurde vom ersten bis zum letzten Ton inbrünstig mitgesungen. Aber egal, wie man zur Musik von Sober Truth steht, das sind wahnsinnig kreative Köpfe und gestandene Musiker bzw. mit Jules eine gestandene Musikerin. Und, was für mich auch erwähnenswert ist, sie reißen sich immer den A… auf, um den Fans – und solchen, die es vielleicht noch werden – eine geile Show zu liefern. Das tun natürlich die meisten Bands, gerade in der Underground-Szene, aber Sober Truth nehmen in der Beziehung für mich tatsächlich eine besondere Stellung ein.

Unsere Wertung

8.0 von 10.0

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