Wenn ich mir die Bandgeschichte der deutsch-syrischen Band Seyr und somit auch irgendwie die Entstehungsgeschichte von Flux durchlese, merke ich wieder mal, dass es viele Menschen da draußen gibt, die mit sehr viel Beharrlichkeit ihre Ziele verfolgen. Vom ersten Kennenlernen von Levon und Levin im Jahr 2016 über den langsamen Aufbau der Band bis zu den Aufnahmen für Flux, die zunächst noch ohne Sänger stattfanden – all das zeigt, dass es manchmal Geduld und einen längeren Atem braucht. Und wenn man es dann noch schafft, gleich ein Debütalbum wie Flux rauszuhauen, das sowohl instrumental als auch in der finalen Version mit Gesang funktionieren würde, spricht das nicht nur für die spielerischen und gesangstechnischen Fähigkeiten der Bandmitglieder, sondern auch für die hohe Qualität im Songwriting. Auf der Bandcamp-Seite von Seyr beschreiben sie ihre Musik als Progressive Metal, aber die Liste der einflussgebenden Bands zeigt die Vielfältigkeit der sechs Tracks. Wenn da Architects und Slipknot in einer Reihe mit Opeth und Swallow The Sun genannt werden, ist das tatsächlich ein sehr interessanter Mix.
Als ich sehe, dass gleich der erste Track der längste ist und mit ungefähr 10 Minuten aufwartet, bin ich ja fast ein wenig skeptisch, ob dass nicht etwas zu mutig ist. Aber nachdem ich mir nicht nur Fi:l sondern das ganze Album jetzt drölfzig Mal angehört habe, kann ich nur ein Wort sagen: Wow! Die Songs auf Flux, auch die beiden kürzeren Instrumentals Satori und Dust, beweisen mir mal wieder, dass es speziell die kleineren Bands sind, die immer noch neue musikalische Pfade begehen und zeigen, dass die Genres, auch der Death Metal, noch lange nicht ausgereizt sind. In solchen Fällen wird ja dem Genre gern mal ein “Post” vorangestellt, und auf Bandcamp gibt es tatsächlich auch zu dem Genre Post Death Metal ein schon recht umfangreiches Angebot. Aber zurück zum Album Flux, das mit seinen sechs Tracks auf ungefähr 36 Minuten kommt.
Es ist tatsächlich sehr mutig, gleich den längsten Track an den Anfang eines Albums zu stellen. Aber der Mid-/Downtempo-Track Fi:l zeigt keine Längen oder endlose Wiederholungen, sondern kommt dermaßen abwechslungsreich aus den Boxen, dass ich überrascht bin, als es “schon” vorbei ist. Dank der großartigen Produktion von Gabriel von Seidlein kriegen alle Instrumente ihren Platz, die Gitarrenriffs genauso, wie der melodische Bass und die großartigen Drums. Und in dieser mächtigen, aber nicht übermächtigen Instrumentenwand bewegt sich Sebastian mit seinem klasse Gesang, wechselt zwischen Growls, Shouts und Clean Vocals, und kann auch mit seinem Monolog fesseln. Zu dem Song gibt’s auch ein klasse Full Band Playthrough-Video.
Bei dem schönen Gitarrenspiel und dem ruhigen Beginn von Resonance könnte man fast denken, jetzt gibt’s Post Rock auf die Ohren. Und auch die erste großartige Wall Of Sound bei ungefähr 1:45 Minuten würde dazu noch passen. Aber dann setzen die unfassbar tiefen Growls von Sebastian ein, die mich ein wenig an Mark Garrett von Kardashev denken lassen. Auch musikalisch darf man durchaus an den Deathgaze der Amerikaner denken. Spoken Words gibt’s auch, die sind dieses Mal allerdings eingespielt. Auch hier gibt’s wieder Mid Tempo, und Seyr schaffen tatsächlich den Spagat, einerseits eine düstere Atmosphäre zu erschaffen, andererseits aber mächtig Groove vorzulegen. Der fast schon Black Metal-artige Part wilder Raserei hätte gern noch was länger dauern dürfen, aber wie schon geschrieben, Längen oder endlose Wiederholungen gibt’s bei Seyr nicht.
Zwei Instrumentals haben Seyr auch auf Flux gepackt und sorgen mit beiden auch mal für sehr ruhige Momente. Satori könnte man fast als ein Song auffassen, der im Proberaum beim Jammen entstanden ist. Aber ich denke mal, auch dieser Track ist sorgfältig geschrieben worden, und jede Note hat ihren vorbestimmten Platz eingenommen. Beim folgenden Dust muss ich tatsächlich an Bands wie Heilung oder Wardruna denken, die ja eher in der World Music unterwegs sind. Dust ist allerdings die Metalversion von denen und leitet nahtlos in Wassukanni über. Der vorletzte Track klingt wie ein einziger ritueller Gesang, den die Krieger in der Nacht vor dem großen Kampf anstimmen, während sie um das Lagerfeuer tanzen und dabei in Trance geraten. Und was für geile Riffs sind das denn bitte?!?! Jeden Tempowechsel machen sie mit und spielen sich die Bälle zwischen technisch versiertem Melodic Death und Progressive Metal genauso zu, wie der Rest der Band.
Und dann kommt mit dem Titeltrack Flux tatsächlich schon der letzte Song des Albums. Auch mit dem zweitlängsten Track zeigen Seyr nicht ansatzweise eine Schwäche und halten das konstant hohe Niveau von Flux. Muss man hier zu Beginn noch in tiefem Doom-Morast waten, zeigen sich Seyr auch hier wieder von ihrer sehr progressiven Seite und wechseln nicht nur die Tempi, sondern erzeugen damit auch immer wieder neue Stimmungen. Manchmal kommen sie auch in Flux wieder ein wenig daher, wie Heilung auf Metal. Und ich bin ein letztes Mal hin- und hergerissen zwischen dem riesigen Stimmumfang von Sebastian und dem, was die Instrumentenfraktion da bis hin zum großen, fast schon epischen Finale liefert.
Leider gibt es außer dem Album nichts, was man sich von dem Quartett anhören kann. Allerdings kommt "Smell Your Soul" mit 13 Tracks daher, die für eine Spielzeit von knapp 50 Minuten sorgen.