Wie man im Kopf dieses Reviews schon lesen kann, besteht das “Projekt” Dissonanz nur aus Lucca Winternheimer. Er hat es im Jahr 2018 ins Leben gerufen, um mithilfe seiner musikalischen Werke so eine Art Tagebuch in Hörbuchformat zu erschaffen, das seine Gefühlswelten und auch seine technischen Fertigkeiten zum Zeitpunkt des jeweiligen Albums widerspiegelt. Dabei bezieht er in seinen Experimental Black Metal auch immer wieder Einflüsse aus anderen Genres ein, um die Grundstimmung, die er beim Schreiben des jeweiligen Albums hatte, noch deutlicher darzustellen. So ungefähr liest es sich auf der Bandcamp-Seite von Dissonanz, auf der neben → weitere acht Werke angehört werden können.
Wenn man sich die Songnamen auf → anschaut, kann man schnell erahnen, welche Stimmung die 15 Tracks beschreiben, mit denen das Album auf ungefähr 25 Minuten Spielzeit kommt. Klingt nicht viel, und beim ersten Hören hatte ich sehr oft den Eindruck, als ob es sich nur um Klangfragmente handelt, die so schnell verschwinden, wie sie gekommen sind. Geisterstadt II und Geisterstadt III sind auch nur jeweils 42 Sekunden lang, nicht viel länger ist Geisterstadt I, das kommt auf 50 Sekunden. Der letzte Track Und Der Tod Tanzt Zögernd Ballett knackt dann als einziger aber tatsächlich auch mal die Drei-Minuten-Marke.
Ich weiß es noch wie heute, wie einmal eine gute Bekannte von mir aus ihrem Urlaub das Foto eines Sperrmüllhaufens auf Facebook postete. Damals fragte ich sie, warum sie denn so etwas während ihres Urlaubs fotografieren würde. Darauf kam, fast schon empört, die Antwort, dass es sich um ein Kunstwerk von Joseph Beuys handeln würde. Auch mein Besuch im K21 in Düsseldorf hat mich in Anbetracht der gesammelten Werke moderner Kunst ziemlich ratlos zurückgelassen. So geht es mir auch mit den 15 Tracks, die da aus meinen Boxen schallen. Das ist wirklich sehr experimentell, und Lucca springt auch gern selbst innerhalb der sehr kurzen Tracks übergangslos von einem Genre ins andere. Jazz, Black Metal, Black’n’Roll, Dubstep, Progressive Metal und noch viele weitere vereinen sich auf eine eigentlich unvereinbare Weise. Das ist zunächst mal gar nicht so uninteressant, einiges klingt arg schräg, hat aber seinen Charme. Auf Dauer wird es mir allerdings wirklich sehr anstrengend, da konzentriert zuzuhören, wenn ich es auch bewundere, wie jemand seine aktuelle Gefühlslage in Musik darstellen und diese Musik auch selbst erschaffen kann.
Mir wurde zum Review auch das Album ∞ angeboten. Das ist allerdings schon aus Juli 2020 und kann daher nicht gesondert betrachtet werden. Mit seinen acht Tracks kommt es auf ungefähr 30 Minuten, wobei allein der Song Deus Mortuus Est, definitiv mein Favorit auf diesem Album, erst nach über 8 Minuten ausstempelt. ∞ ist nicht ansatzweise so experimentell wie →, hier gibt es sehr geilen (Progressive) Black Metal zwischen rasend schnell und schleppend. So würde ich mir fast wünschen, Lucca hätte die Alben in umgekehrter Reihenfolge veröffentlicht, dann könnte ich dazu was schreiben, aber das Leben ist halt kein Wunschkonzert. Das Album ∞ kann ich im Grunde bedenkenlos jedem Black Metal-Fan empfehlen. Für → muss man wirklich sehr aufgeschlossen den Klangexperimenten gegenüber sein, die Lucca hier eingespielt hat.
Auf YouTube gibt es nur das Album ∞ in voller Länge, von → ist nichts zu finden. Also empfehle ich einen Besuch der Bandcamp-Seite von Dissonanz.
Leider gibt es außer dem Album nichts, was man sich von dem Quartett anhören kann. Allerdings kommt "Smell Your Soul" mit 13 Tracks daher, die für eine Spielzeit von knapp 50 Minuten sorgen.