Die Wege, auf denen dieses Debütalbum zu mir kam, sind ähnlich verschlungen, wie die des Masterminds von Anthia, nämlich Herman Rigmant. Der war in den 90ern Mitglied der lettischen Technical Death Metal Band Neglected Fields, die sich bereits die Bühnen mit Bands wie Cannibal Corpse, Dimmu Borgir oder Destruction teilen durften. Danach produzierte und managte er Vic Anselmo. Hier spielte er auch Gitarre, und sie veröffentlichten zwei Alben. Auf den großen Gothic-Festivals, wie WGT, M’Era Luna oder Amphi Festival waren sie ebenso auf den Bühnen, wie als Support für Deine Lakaien bei deren 2010er Europatournee. Im Jahr 2013 kam Herman dann nach Krefeld, wo er sich ebenfalls bereits sehr aktiv in der Szene zeigte, bevor er vor drei Jahren Anthia gründete. Und auch seine beiden musikalischen Mitstreiter sind keine Unbekannten. Sergey “Serg” Baidikov ist der Kopf, Sänger und Gitarrist der lettischen Melodic Death Metal-Band Preternatural und Gitarrist bei Neglected Fields, Sergey Serhio Karshev ist Bassist bei Preternatural und Neglected Fields.
Das Debütalbum Gaslighter entstand in sehr turbulenten Zeiten, die sich mit Kriegen, Revolutionen oder auch der Covid-Pandemie in Erinnerung halten werden. Und auch Ereignisse in seinem persönlichen Umfeld hat Herman in der Musik und in seinen Texten verarbeitet. Bei den Aufnahmen hatte er Unterstützung von Katharina Kurschat (Gesang Tracks 6 & 10), Raafat Daboul (Gesang Track 4) und Nik Arhipov (Gesang Tracks 8 & 9) sowie Martin Tiltnieks, der in Procrastination mit seinen Bagpipes zu hören ist. Das Mastering hat niemand Geringeres als Dan Swanö übernommen.
Eigentlich wollte ich das ungefähr 35 Minuten lange Album zum ersten Mal durchhören, während ich die Fotos der Show bearbeite, die ich am Vorabend aufgenommen hatte. Aber schon nach der ersten Minute des Titeltracks Gaslighter merke ich, dass sich meine Aufmerksamkeit mehr auf die Musik als auf meine Fotos richtet. Und so langsam aber sicher kriecht mir ein Grinsen ins Gesicht, das da auch wie festgetackert bleibt. Ich habe ja schon einiges an Progressive Death Metal gehört. Das ist dann halt Death Metal nicht stur durchgeprügelt, sondern mit einigen progressiven Versatzstücken. Aber was Anthia da auf Gaslighter liefern, ist fast wie ein Theaterstück für die Ohren und erinnert mich ein wenig an Luzidity, die gerade mit Forced To Kill ein ähnlich außergewöhnliches Album veröffentlicht hatten, wobei die Kölner Band eher im Black Metal wildert.
Nach Infancy (Intro) folgt schon der Titeltrack, der erstmal so gar nichts mit Death Metal zu tun hat. Ein tolles Uptempo-Gitarrenspiel leitet den Song ein, und beim ersten Hören habe ich nochmal kurz nachgeschaut, ob Anthia wirklich auf der Death Metal-Schiene fahren. Dann legt Sergey am Mikro los, der sich aber auch weniger in den für Death Metal typischen tiefen Growls bewegt, sondern eher mit einer rauen Stimme unterwegs ist, was man vielleicht noch als Shouts bezeichnen könnte. Und gleich mit diesem ersten regulären Track ziehen Anthia alle Register. Da wird von jetzt auf gleich mal das Tempo verschleppt, und die Instrumentenfraktion scheint manchmal eher beim Jammen zu sein, als dass sie die im Songwriting aufgeschriebenen Noten spielt. Bei einer Songlänge von ungefähr vier Minuten kommen Anthia gar nicht erst in Versuchung, sich in ellenlangen Wiederholungen zu ergehen, sondern kommen knackig auf den Punkt. Von Jammen ist im folgenden Flabbergast keine Rede, die Flitzefinger auf den Gitarren stehen den Blastbeats und Doublebase-Attacken in nichts nach, können aber auch tolle Riffs und Licks daherzaubern, die mich manchmal fast schon an John Petrucci und die Songs seiner Band Dream Theater erinnern.
Hatte ich weiter oben schon was von “Theaterstück für die Ohren” geschrieben, passt der erste Einsatz eines Gastsängers auf diesem Album dazu wie A… auf Eimer. Raafat Daboul spricht in dem Song, der so heißt wie die Band, nämlich Anthia, zwar eher, als dass er singt, aber gerade das verstärkt diesen Eindruck umso mehr. Und auch hier sind die Männer wieder überwiegend im Hochgeschwindigkeitsexpress unterwegs, von den abrupten Tempowechseln, die gefüllt sind mit einem wahnwitzigen Spiel der Gitarren, mal abgesehen. Ob die Drums auch programmiert sind, weiß ich nicht, aber das symphonische Orchester im Hintergrund ist es bestimmt. Auch im folgenden The Origin Of Species gibt’s wieder allerlei Symphonisches, und wäre da nicht der Gesang von Sergey, könnte auch dieser Track aus der Feder von Dream Theater stammen. Was ein großartiges progressives Monster!
Chairborne ist fast so etwas wie pure Raserei mit einem großartigen Gitarrenspiel. Ab und an mäandert der Song ein wenig herum, und es scheint fast so, als solle dem Hörer hier mal eine Verschnaufpause gegönnt werden. Hier kriegt auch Katharina Kurschat ihren ersten, wenn auch sehr kurzen, Einsatz. Wo es bei Chairborne manchmal ein wenig unentschlossen scheint, klingt es im folgenden Samedi zunächst eher wie der Sprecher in einem Hörspiel, der den Hörer auf eine spannende Reise mitnimmt, womit wir wieder beim “Theaterstück für die Ohren” wären. Erfreulicherweise sind ja auch die Songtexte im Pressekit enthalten, aber ich muss gestehen, dass ich zwar die Worte, nicht aber den Sinn der Sätze verstehe. Großartig auf jeden Fall, wie der Song auf das furiose Ende hin aufgebaut wird. Von Procrastination könnte ich aus eigener Erfahrung auch viel berichten, aber auch hier ist der Text definitiv sehr viel tiefschürfender. Abgesehen von wahnwitzigen Gitarrensoli kommt der Song mal nicht gar so progressiv daher, kann aber mit tollen Clean Vocals von Nik Arhipov aufwarten. Der darf auch im folgenden Exaltation noch mal ran, und im Gegensatz zu den Hochgeschwindigkeitsparts, in denen die furiosen Shouts/Growls von Sergey zu hören sind, macht sein ein wenig exaltiert klingender Gesangsstil dem Songtitel auch alle Ehre. Einen zweiten Einsatz hat auch Katharina Kurschat, die sich im letzten Song Prayer ungeheuer variabel zeigt und zusammen mit Sergey so etwas wie den letzten Akt dieses Theaterstücks mit Leben erfüllt. Es klingt fast ein wenig, wie “Die Schöne und das Biest”.
Leider gibt es außer dem Album nichts, was man sich von dem Quartett anhören kann. Allerdings kommt "Smell Your Soul" mit 13 Tracks daher, die für eine Spielzeit von knapp 50 Minuten sorgen.